nerdtum – Resas Ramblings https://flauschig.org/blog An-, Drauf- und Einsichten meinerseits Sun, 20 May 2018 11:58:21 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.9.22 Back to Topic: Worüber sprechen wir auf Konferenzen? https://flauschig.org/blog/?p=52 Thu, 28 Feb 2013 00:56:45 +0000 https://flauschig.org/blog/?p=52 Weiterlesen ]]> Seit gestern ist wieder eine Diskussion im Gange, die die Gemüter vieler Menschen erhitzt, die sich mit Tech-/Nerd-/Hackerkonferenzen (im Folgenden einfach nur „Konferenzen“) auseinandersetzen. Auf der BSides San Francisco, einer Veranstaltung zum Thema Security, wurde ein Beitrag mit dem Titel „sex +/- drugs: known vulns and exploits“ kurzfristig aus dem Programm genommen, da es Stimmen gab, derartige Vortrage hätten eine abschreckende Wirkung auf Frauen.

Disclaimer: Ich war nicht vor Ort und kenne keine der beteiligten Personen persönlich, kann mir also nur aufgrund der öffentlich verfügbaren Informationen ein Bild machen. Im folgenden Artikel stelle möglicherweise Mutmaßungen an, die nicht auf die konkrete Situation der BSides zutreffen. Dennoch nutze ich diese, um zu überlegen, was die Debatte für die Community und für andere Konferenzen heißt.

Was genau ist da also passiert?1
Die Hackerin Violet Blue hatte sich für ihren Vortrag auf der BSides San Francisco relativ kurzfristig darauf festgelegt, über das Zusammenwirken von Drogen und Sex zu sprechen, wie sie es schon einmal 2012 auf der BSides Las Vegas getan hatte. Es wurde kurz vor der Konferenz nur der Titel des Vortrags, „sex +/- drugs: known vulns and exploits“, auf der BSides-Website veröffentlicht. Valerie Aurore von der Ada Initiative, einer feministischen Organisation mit dem Ziel einer höheren Beteiligung von Frauen in der Open Source-Kultur und Technikcommunity, wurde darauf aufmerksam und schrieb der BSides-Orga eine Mail, in der sie sich über den Inhalt dieses Vortrags erkundigte und ihre Perspektive dazu anbot. Einer der Organisatoren, Ian, unterhielt sich auf der Konferenz persönlich mit ihr und Valerie erklärte ihm, warum sie glaubt, dieser Talk trage zu einem Klima bei, wegen dem weniger Frauen an der Konferenz teilnehmen. Der Organisator sprach mit der Vortragenden, Violet Blue, über diese Vorbehalte, und trotz Rückversicherung über den Inhalt (Inhaltswarnung am Anfang, Fokus auf Aufklärung und Risikominierung, sexpositiver Ansatz) und angebotener ablauftechnischer Kompromissvorschläge (Ausweichen auf eine kleinere Bühne oder die Afterparty) wurde der Vortrag schließlich abgesagt. Diese Entscheidung traf Violet, weil sie glaubte, eine einzelne von sexueller Gewalt betroffene Person habe sich beschwert, und um die Konferenz und den Organisator nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Erst später erfuhr sie, dass die Beschwerde von der Ada Initiative ausgegangen war.

Im Kontext der allgemeinen und der nerdspezifischen Sexismusdebatte, beispielsweise um den 29c32, ist natürlich alles, was mit Sexismus und Feminismus zusammenhängt, höchst brisant für eine Konferenz und deren Außenwirkung und kann starke emotionale Reaktionen bei allen Beteiligten hervorrufen. Die Sensibilität der Community und der Organisator*innen für das Thema ist gewachsen, ein Ignorieren ist kaum mehr möglich und es gibt viele Diskussionen darüber, wie das Ausschließen von Frauen verhindert werden kann. Hier war auch die Ada Initiative in der Vergangenheit schon sehr aktiv und zeichnet sich mitverantwortlich dafür, dass viele „Anti-Harassment-Policies“3 eingeführt wurden.

Diese Entwicklung halte ich grundsätzlich für begrüßenswert. Auch das Anbieten einer Perspektive, wie Ausschlüsse produziert werden und was abschrecken könnte, halte ich im Rahmen von Awarenessarbeit prinzipiell eine gute Idee – sofern es ohne Zwang geschieht und eine Diskussion fördert. Die Ada Initiative weist in ihrer Stellungnahme explizit darauf hin, niemanden unter Druck gesetzt zu haben, sondern immer explizit zu warten, bis Konferenzorganisator*innen von selbst auf sie zukommen:

It is true that warning people of a potential bad effect of their actions is a common method of threatening people; that’s one reason why we wait for conference organizers to contact us first. If someone requests our opinion, as BSides SF did in this case, then it is more difficult to mistake sharing our expertise as threats.

In Violets Blogpost klingt das etwas anders:

“Well, there’s been a complaint about your talk.” He continued, “It’s from someone who is a rape survivor and they said they will be triggered by your talk if there’s any rape in it.”

[…]

“Do you describe how to use date rape drugs? They said that if you are going to tell people how to use date rape drugs then it’s the same as rape, and there’s going to be a problem.”

[…]

“No, they’re here and they’re not leaving. They told me they’ll make it into a bigger problem if you do your talk.”

Ich halte es für plausibel, dass keine der beiden Seiten lügt, sondern glaube, dass die unterschiedlichen Auffassungen zu großen Teilen der Stresssituation geschuldet sind – weniger als eine halbe Stunde vor dem Vortrag, gehetzt von der Anreise oder vom Organisieren ist man nicht unbedingt in der Verfassung, zu diskutieren. Auch wirkt es auf mich nicht so, als hätten sich die Orga und die Sprecherin vollkommen frei und bewusst dafür entschieden, abzusagen, weil sie keine Frauen ausschließen wollten. Ich spekuliere, dass sie aus Angst vor einem möglichen Shitstorm verständlicherweise den „einfachen Ausweg“ gewählt haben, und ich denke, das kann ihnen niemand zum Vorwurf machen. Wieviel harsche Kritik es von der Ada Initiative gegeben hätte, wenn der Vortrag stattgefunden hätte, dazu kann ich leider absolut keine Aussage treffen.

Leider gab es weder direkte Kommunikation zwischen Valerie Aurore und Violet Blue noch eine Diskussion im Vorfeld, die für ein konstruktiveres Auseinandersetzen mit dem Thema nötig gewesen wäre. Die Ada Initiative betont nur, dass die Zusammenfassung des Inhalts erst bekannt gegeben wurde, als schon alles vorbei war, der Titel des Vortrags also für sich allein stand und aufgrund der Wortwahl („vulnerability“ und „exploit“) auf das Thema Vergewaltigung unter Drogeneinfluss hinweist. Vermutlich wäre es eine gute Idee gewesen, die Sprecherin über die Anfrage der Ada Initiative vor der Konferenz zu informieren, aber wahrscheinlich war dafür die Zeit viel zu knapp und der Organisationsstress zu viel.

Da die Diskussion also im Vorfeld nicht geführt wurde, hoffe ich, dass sie nun zumindest im Nachgang passiert und es einen Dialog statt verhärtete Fronten gibt.

Wie also umgehen mit Sex als Thema auf Konferenzen?
Einen Vortrag über Vergewaltigung, der diese verherrlicht, trivialisiert oder ins Lächerliche zieht, hätte ich ebenfalls strikt abgelehnt. Auch kann ich den Gedanken nachvollziehen, dass eine allgegenwärtige Präsenz von pornografischem Material auf einer Technikkonferenz unangebracht ist und wahrscheinlich vielen Teilnehmer*innen ein schlechtes Gefühl gibt. In diesem Zusammenhang denke ich auch an die Kritik an den „Booth Babes“ (leichtbekleideten Frauen, die Messestände „schmücken“). Insbesondere durch einen einseitigen Fokus auf Frauen als „Sexobjekte“ und das explizite Ausrichten auf ein männliches, heterosexuelles Publikum wird in der Tat ein Klima geschaffen, in dem Frauen „bestenfalls nur“ nicht ernst genommen werden und schlimmstenfalls vermehrt Übergriffen ausgesetzt sind. Dies sind Punkte, denen ich zustimme, aber ich bilde mir ein, dass es im Vorfeld abzusehen oder mindestens herausfindbar ist, ob ein Vortrag in diese Kategorie fällt oder nicht.

Die Position der Ada Initiative4 geht allerdings noch darüber hinaus, denn sie lehnt Beiträge über Sex selbst dann ab, wenn sie explizit als Aufklärung, frauenfreundlich und „sexpositiv“ ausgeschrieben sind, wie es bei Violet Blue wohl der Fall gewesen wäre. Dafür werden drei Hauptargumente genannt:

  • Da Frauen statistisch gesehen häufiger Opfer sexueller Gewalt werden, wären sie häufiger davon betroffen, wenn durch unerwartetes Konfrontieren mit sexuellen Themen heftige emotionale Reaktionen durch Erinnerungen auf traumatische Erlebnisse ausgelöst werden, sie also „getriggert“ werden. Zu dem Thema habe ich schon Gegenteiliges gehört – so las ich auch schon, dass einige Betroffene von Dingen „getriggert“ werden, die überhaupt nichts mit Sex zu tun haben, beispielsweise vom Anblick einer Betonwand. Ohne irgend etwas in die eine oder andere Richtung zu belegen weist dies zumindest darauf hin, dass die einfache Gleichung „Es wird nicht über Sex geredet = Niemand wird getriggert“ nicht aufgeht.
  • Durch Beiträge über Sex werde eine „sexualisierte Umgebung“ geschaffen, in der eine Frau eher als Sexobjekt wahrgenommen werde als einfach als eine weitere Konferenzteilnehmerin, und dass dies zu mehr Übergriffen und Vergewaltigungen führe. Ich stimme zu, dass es (nicht nur) auf Konferenzen dazu kommt, dass Frauen objektifiziert werden und beispielsweise nach ihrem Aussehen und Sexappeal bewertet werden anstatt nach ihren inhaltlichen Beiträgen. Ich stimme aber nicht zu, dass dies ursächlich am Thema Sex liegt oder dass Sex dies immer befördert.  Sex als Thema muss ja nicht notwendigerweise objektifizierend sein, wenn es in angemessener Weise präsentiert wird. Das heißt konkret, dass Frauen nicht nur als passive Lustobjekte dargestellt werden sollten, sondern als aktive und mündige Menschen, die ihre Sexualität selbstbestimmt ausleben – sofern es überhaupt um Lustempfinden geht, was ja in Violets Fall überhaupt nicht zutraf. Das heißt auch, dass nicht von einem männlichen, heterosexuellen Zielpublikum ausgegangen werden sollte, und dass degradierende Wortwahl vermieden werden sollte. Unter diesen Voraussetzungen kann ich mir vorstellen, dass zumindest von dem Beitrag selbst keine erhöhte Gefahr ausgeht, Menschen in übergriffigem Verhalten zu bestärken.
  • Viele Konferenzteilnehmer*innen würden den Unterschied zwischen „Reden über Sex“ und „Abwertend über Frauen reden“ nicht kennen und von dem einen dazu gebracht werden, auch das andere zu tun. Auch wenn solche Menschen vermutlich wirklich existieren, halte ich es für gefährlich, auf dieser Basis die gesamte Besucherschaft einer Konferenz zu bevormunden. Dazu kommt noch, dass die positiven Auswirkungen des Redens über Sex außer Acht gelassen werden – etwa, dass andere Menschen zu einem verantwortungsvolleren Umgang damit gebracht werden, sich ihrer Bedürfnisse und Grenzen bewusst werden und ermutigt werden, diese zu artikulieren. Bei Violet Blues Vortrag sehe ich ganz klar den Bezug zur Hackerkultur, zur Community und den potentiellen Nutzen. Das Tabuisieren des Themas nützt dagegen höchstens denen, die Schwächere und Uninformierte ausnutzen, ob nun durch Sex, Drogen oder beides in Kombination.

Kurz, ich halte die Pauschalisierung „Sex hat als Thema auf Konferenzen nichts verloren“ für falsch, kontraproduktiv und sogar gefährlich. Der explizite Bezug auf den Ausschluss von Frauen unterstützt sogar noch das sexistische Vorurteil, Frauen hätten per se kein Interesse und keinen Spaß an Sex.

Bei Vorträgen sollte sich die Orga im Einzelfall ein Bild machen, was der Fokus ist und wie er zum Selbstbild der Konferenz passt. Als bloßes Mittel, um Aufmerksamkeit auf den eigenen Vortrag zu ziehen, könnte das Thema Sex beispielsweise weniger wünschenswert sein.

Ich habe Vorträge, die sich nicht direkt mit Technik, sondern mit der Kultur darum und dem Zwischenmenschlichen beschäftigen, als wichtigen Bestandteil einer Konferenz kennengelernt, etwa „Geeks and Depression“ oder „Queer Geeks“. In diesen Kontext kann ich mir auch Aufklärung über Sex gut vorstellen, und ich halte die Diskussion über das Schaffen eines angemessenen Rahmens dafür weitaus zielführender als die Diskussion über ein Verbot. Hierzu habe ich im Kontext der Debatte einen guten Artikel gefunden: „Talking About Sex Safely“

Übrigens kann ich nun besser nachvollziehen, wovor die Leute Angst haben, wenn sie von einer „Sittenpolizei“ sprechen. Insofern hat dieser unschöne Vorfall hoffentlich einen Anstoß geliefert, um Gespräche und gegenseitiges Verständnis zu fördern.

  1. So gut es geht zusammengepuzzelt aus Informationen aus der offiziellen Stellungnahme der BSides, der Stellungnahme der Ada Initiative  und dem Blogeintrag der Vortragenden Violet Blue
  2. Siehe auch https://flauschig.org/blog/?p=29
  3. Link: Conference anti-harassment policy
  4. Nachzulesen in der offiziellen Stellungnahme
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Der 29c3 aus Sicht eines A-Team-Engels https://flauschig.org/blog/?p=29 https://flauschig.org/blog/?p=29#comments Tue, 08 Jan 2013 01:40:09 +0000 https://flauschig.org/blog/?p=29 Weiterlesen ]]> Über den 29c31 ist im Zusammenhang mit der Anti-Harassment-Policy bereits viel geschrieben worden. Um nicht so viel zu wiederholen, berichte ich hier vor allem von meiner Arbeit als Mitglied des Awarenessteams (kurz A-Team), und verlinke am Ende des Texts einige Artikel mit allgemeineren Punkten und Aussagen, die ich größtenteils wichtig finde.

Disclaimer: Achtung, das hier wird lang.
Außerdem fiel mir auf, dass die ganze Debatte sehr sexismuszentriert ist, obwohl auch andere Diskriminierungsformen wie beispielsweise Rassismus und Homophobie eine wichtige Rolle spielen. Da meine konkreten Erfahrungen auf dem 29c3 sich nahezu ausschließlich auf Sexismus beziehen, ist auch dieser Artikel sexismuszentriert. Ich bitte dies zu entschuldigen und würde mich sehr über mehr diverse Perspektiven freuen. Insbesondere frage ich mich, welche Rolle Mehrfachdiskriminierung (z.B. weiblicher Menschen mit Behinderung) spielt. In diese grobe Richtung kam bisher soweit ich weiß nur ein Beitrag, den ich unten verlinkt habe.

Bereits das Jahr über hatte ich mich sehr viel mit Feminismus, Antidiskriminierungsarbeit und Konzepten zur Umsetzung eines Safe Space2 beschäftigt. Ursprünglich war für den Congress zum Jahresende nur eine entspannte Runde mit lieben Leuten, die ich das Jahr über viel zu selten gesehen hatte, geplant. Allerdings kam es anders: Schon im Vorfeld des 29c3 kochten Debatten um Sexismus in der Nerd-/Geek-/Hackerkultur im Allgemeinen und auf dem Chaos Communication Congress im Speziellen hoch, insbesondere durch die unsägliche Klotürdebatte. Ich teile im Wesentlichen die Kritikpunkte an dieser Tür, aber die Diskussions- und Streitkultur insbesondere auf Twitter hat mich traurig gemacht und nahm mir die Lust, mich dazu zu äußern. Leute, die ich sehr schätze, regten sich lieber übereinander auf, als wirklich miteinander zu kommunizieren und aufeinander einzugehen. Es ist natürlich unrealistisch, zu hoffen, dass sich Probleme wie von selber lösen, wenn man die Leute nur an einen Tisch bringt, aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es durchaus was bringen kann, zunächst den Menschen über die Sache zu stellen, auf Gemeinsamkeiten aufzubauen und sich nicht von einzelnen Formulierungen triggern zu lassen.

Nun wurde ich also gefragt, ob ich auf dem 29c3 beim Awarenessteam mitmachen will, um die Anti-Harassment-Policy3 umzusetzen. Trotz einiger Zweifel und Kritik, die ich im Vorfeld mitbekam und die ich auch teilte, entschied ich mich dafür. Ich sah darin eine Chance, die Umsetzung der Policy aus erster Hand mitzuerleben, um sie dann tatsächlich beurteilen zu können, und gleichzeitig die Möglichkeit, den Congress zu einem angenehmeren Ort für meine Mitmenschen und mich zu machen.
Es existierte eine sehr ausführliche Vorarbeit einiger Engel, die das Awarenessteam (recht schnell auf „A-Team“ gekürzt und im Folgenden so bezeichnet) organisierten, und dafür zunächst „No-Gos“ sammelte, beispielsweise sexuelle Belästigung, Stalking und Tragen von Kleidung mit Nazisymbolen. Hier existierte ein klarer Ablauf an Eskalationsstufen, sodass es uns als offiziellem Team möglich sein sollte, bei entsprechenden Vorfällen Verwarnungen auszusprechen oder Leute der Veranstaltung zu verweisen. Außerdem existierte ein ausgefeiltes Konzept zur Mediation von Streit, bei dem wir als Konflikthelfer*innen auftreten sollten, die vermitteln, ohne Partei zu ergreifen. Das passte für mich spontan nicht mehr so richtig in den Kontext von „Awareness“ und damit hatte ich kaum Erfahrung, aber davon ließ ich mich nicht abschrecken.

Auf der Veranstaltung angekommen lernte ich dann den Rest des A-Teams persönlich kennen. Es bestand inklusive mir aus insgesamt acht Menschen (vier männlich und vier weiblich), wovon jeweils zwei zugleich Schicht hatten und mit jeweils einem Telefon rumliefen. Die Telefone hörten auf die Nummer 113 im internen DECT-Netz und waren mit einer etwas komplizierteren Vorwahl auch von außen erreichbar. Zunächst hieß es nur, es solle auf Anrufe reagiert und gegebenenfalls mit der anderen Schicht habenden Person beraten werden, was zu tun ist: Vermittlung zwischen zwei Parteien, Aussprechen einer Verwarnung, Eskalation zu einer höheren Instanz wie beispielsweise einem Security-Engel.
Während ich noch entspannt im Eröffnungsvortrag von Jacob Appelbaum saß, ging ein Bild durch meine Twitter-Timeline, das einen nackten, kopflosen Frauenkörper aus Creeper-Cards4 zeigte. Für mich wie für viele andere, die damit konfrontiert wurden, hatte dieses Bild die klare Aussage: Hier nehmen Leute die Creeper-Cards nicht nur nicht ernst, sondern demonstrieren „Der Congress ist unser Ort, den markieren wir jetzt. Wir nehmen Antidiskriminierungsarbeit nicht ernst, wir machen was wir wollen und ihr könnt nichts dagegen tun“. Im Nachhinein sehr interessant, nachzulesen, dass die „Künstlerin“ sich dessen wohl gar nicht bewusst war.5 Die Timeline war jedenfalls in Aufruhr, und ich wurde immer unruhiger, weshalb ich aus dem Vortrag rausging, um meine A-Team-Kolleg*innen aufzusuchen. Bei denen war zumindest telefonisch noch keine Beschwerde angekommen und sie waren vor allem damit beschäftigt, den Leuten zu erklären, dass die Creeper-Cards nicht von ihnen kamen, sondern ein Projekt dritter waren. Als ich den Fall mit der nackten Frau aus Karten meldete, war jedoch sehr schnell Konsens, dass es sich um eine nicht hinzunehmende Provokation handelte, die besser entfernt werden sollte. Also gingen wir an den Ort des Geschehens, wo die Urheberin der Darstellungen grade nicht anwesend war. Wir sprachen eine Verwarnung aus, hinterließen ein Gesprächsangebot und nahmen die nackte Frau aus roten und den Penis aus grünen Karten erst mal ab. Für „Hacks“ mit Creeper-Cards war dies auch in den folgenden Tage unsere Linie: Kritik an den Karten ist nicht gegen die Policy, sexistische Kritik an den Karten jedoch schon. Ein Spiel auszurufen, wer die meisten Karten einsammelt, verstieß also ebenfalls dagegen.

Später stellte sich heraus, dass wir als „menschliches Gesicht der Policy“ dennoch sehr heterogen waren, was konkrete Handlungsvorstellungen anging. Bei der Besprechung an Tag 1 wurde viel diskutiert: Wollen wir uns nur mit direkten Beschwerden per DECT auseinandersetzen, nehmen wir auch nicht direkt an uns gerichtete Beschwerden auf Twitter auf und gehen denen nach, oder laufen wir proaktiv rum und sprechen Sachen an, die uns auffallen? Wie vermeiden wir es dann, die Leute zu bevormunden und zur „Sittenpolizei“ zu werden, vor der sich viele fürchten? Inwieweit können wir selber Vorfälle „melden“, wenn wir doch danach möglicherweise vermitteln sollen?
Wir waren uns sicherlich nicht immer am Ende einig, aber haben zumindest Handlungen im Konsens hingekriegt. Ich fand es sehr wichtig, mit einer anderen diensthabenden Person gegenzuchecken, was grade eine angemessene Maßnahme wäre. Ein Beispiel dafür ist eine Beschwerde, die uns per Mail zuging, als ich gerade Schicht hatte: Während eines Vortrags war in einem offiziellen 29c3-IRC-Channel ein (öffentlich zugängliches) Bild von einer der Sprecherinnen gepostet worden, das sie im Bikini zeigt, mit der Bemerkung „Nice!“. Eigentlich sollte es für Vortragende selbstverständlich sein, dass sie sprechen können, ohne dass ihr Aussehen unpassenderweise in den Mittelpunkt gerückt und bewertet wird. Insbesondere, weil bei einer Frau auf diese Art gern mal von der Kompetenz abgelenkt wird und sie zum bloßen „Schmuckstück“ abgestempelt wird. Mein Schichtpartner und ich einigten sich darauf, den Menschen ausfindig zu machen, der das Bild gepostet hatte, und ihm klar zu sagen, dass dieses Verhalten gegen die Policy verstößt und hier nicht erwünscht ist. Es reichte uns für eine Verwarnung, aber nicht für einen Rauswurf. Wir erreichten ihn schließlich irgendwann per GSM, luden ihn in den Heaven, den Engel-Stützpunkt, ein und mein Kollege führte das Gespräch, damit wir ihn nicht zu zweit niederreden. Er war einsichtig. Ja, so ein persönliches Gespräch war sicher noch mal ne ganz andere Erfahrung, als nur irgendwo unpersönlich im IRC zu posten oder sich auf Twitter aufzuregen.

Sehr stark fiel mir auf, dass wir relativ unsichtbar waren, sowohl bei den anderen Engeln und am Infodesk als auch bei den Besucher*innen. Das Infodesk verwies einen Teilnehmer, der einen Workshopraum suchte, zu mir an die Hotline… uff, ja… Sorry, not my department? Allerdings ist bei den Wellen, die die gesamte Sache hier momentan schlägt, davon auszugehen, dass nächstes Mal alle zumindest Bescheid wissen, dass es ein A-Team gibt und wofür es in etwa da ist. Dennoch hätte ich mir mehr physische Hinweise gewünscht: Hinweise (Flyer?) am Infodesk, Schilder mit der DECT-Nummer, äußere Erkennungszeichen für die A-Team-Engel (Shirt o.ä.), einen gut zugänglichen Anlaufpunkt mit nah dran liegendem Rückzugsort für Gespräche. Obwohl die DECT-113 der einzige „offizielle“ Kanal war, kam gefühlt die Mehrheit der Meldungen an das A-Team nicht darüber, sondern per Engel-Flurfunk, per Mail oder persönlich. A-Team-Kolleg*innen, die bekannter sind als ich, berichteten, dass sie andauernd auf das Team angesprochen wurden, wobei es sich dabei vor allem um neugierige Nachfragen handelte. Bei mir lief es eher in die andere Richtung, ich erzählte „Schau mal, dieses Telefon hier hört auf die 113, ich bin nämlich im Awarenessteam, kennst du die…?“ – und niemand hatte was davon gehört. Vermutlich hätten auch im Fall eines Übergriffs eher die gut vernetzten, alteingesessenen Besucher*innen eine einfache Anlaufstelle gehabt, weil sie Menschen von A-Team kannten, Neulinge hingegen eher nicht. Ich verstehe, dass wir unseren Zuständigkeitsbereich irgendwie eingrenzen mussten und nicht unbedingt auf jeden Troll auf Twitter reagieren müssen, allein weil unser Ansatz ja war, Leute zum Miteinander-Reden zu bringen. Aber geschätzt 85% der Leute hatten diesmal kein DECT- oder GSM-Telefon und die meisten davon wussten auch nicht, dass z.B. an jeder Bar ein solches Telefon zu finden gewesen wäre.
Allgemein war der Informationsfluss von offizieller Seite nach außen leider sehr gering. Ich verstehe, dass alle viel zu tun hatten und es höchste Priorität hatte, die Veranstaltung am Laufen zu halten. Ich kann auch nachvollziehen, dass sich die Orga um die Außenwirkung des Congress sorgt, wenn so viel über Sexismus berichtet wird. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass Vorfälle sowieso nach außen dringen und das Fehlen einer offiziellen Stellungnahme die Außendarstellung verschlechtert anstatt verbessert. Es wäre meiner Meinung nach sinnvoll gewesen, sich als A-Team mehr öffentlich zu positionieren und zu kommunizieren, was wir getan haben. Dann hätte sich auch nicht in einigen Kreisen der Eindruck breitgemacht, die Policy würde nicht wirklich durchgesetzt.

Noch ein paar Worte zum Thema Awareness. Ich hatte den Eindruck, Sexismus auf dem 29c3 wirkte nicht vordergründig in direkten An- oder Übergriffen oder Beleidigungen, sondern subtiler. Vorträge, die von einem männlichen Zielpublikum ausgehen und davon abweichenden Menschen das Gefühl vermitteln, nicht angesprochen zu sein und nicht für voll genommen zu werden. Der Klassiker „Selbst deine Mutter kann das verstehen“, der der Haeckse mit Kind zwar ein müdes Lächeln entlockt, aber zumindest ein schlechtes Gefühl vermittelt. Die ironische Nachfrage, wie man „als Frau“ denn dieses und jenes sieht und die Implikation, man würde damit für alle Frauen sprechen. Die Beschwerde, es gäbe ja gar keine Frauen auf diesen Veranstaltungen, weswegen man „keine abbekäme“, als wäre der einzige Zweck einer Nerdette, einen einsamen Nerd glücklich zu machen, und die Frau, die sich diese Beschwerde anhören muss, fühlt sich noch verarscht: „Hallo, ich steh direkt hier, sieht der mich nicht?“
Diese kleinen Dinge können in der Masse tief sitzen, aber würde man für jeden einzelnen das A-Team anrufen, insbesondere dann, wenn die eigenen Freund*innen diese Aussagen gemacht haben und man gerne nicht die nächsten paar Tage ohne Peer Group dastünde? Diese kleinen Dinge sind vielen vermutlich gar nicht bewusst, sondern gehören halt „irgendwie dazu“, und wenn sich jemand darüber aufregt, wird diese Person bestenfalls als sensibel und schlimmstenfalls als „feministische Extremistin“ tituliert. Ich kann dieses Wort nicht mehr hören, und das obwohl ich noch nicht mal so genannt wurde.

Awarenessarbeit, wie ich sie verstehe, heißt ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eben auch diese kleinen Dinge zählen und zu einer Atmosphäre beitragen, die den Congress für Frauen zu einem ungemütlichen Ort machen kann, außerdem am besten auch ein Bewusst sein dafür, dass wir das so nicht wollen. Und nein, ich finde nicht, dass der Congress „besonders schlimm sexistisch“ ist. Die Gesellschaft hat sexistische Stereotype und Denkweisen tief verinnerlicht, und der Congress existiert innerhalb dieser Gesellschaft. Nur ist der Congress und die zugehörige Nerd-/Geek-/Hackerkultur eine Sphäre, die wir leichter positiv verändern können als die gesamte Gesellschaft. Und ich habe da insbesondere Hoffnung, weil ich in dieser Kultur so viele tolle Menschen kennengelernt habe, mit denen man reden konnte.
Deswegen wünsche ich mir für die Zukunft, aber auch für den nächsten Congress zusätzlich zum A-Team mehr freiwillige Informationsangebote, gerne auch „Erklärbären vom Dienst“, die präsent sind.

Zum Abschluss nun einige weitere Artikel, die sich um die 29c3-Policccy-Debatte drehen:

  1. 29. Chaos Communication Congress, https://events.ccc.de/congress/2012/wiki/Main_Page
  2. Nach meiner Definition: Raum, in dem Menschen möglichst wenig Diskriminierung ausgesetzt ist und, sollte diese auftreten, mit der Solidarität der Anwesenden rechnen kann
  3. Öffentliche Absichtserklärung, die Veranstaltung zu einem sicheren und angenehmen Erlebenis für alle Menschen zu machen, ungeachtet Geschlecht, Alter, Aussehen usw. Zu finden hier: https://events.ccc.de/congress/2012/wiki/29C3_Anti-Harassment_Policy
  4. Rote, gelbe und grüne Karten, die übergriffiges Verhalten sanktionieren, aber auch vorbildliches belohnen sollen. Infos hier: http://creepermovecards.de/
  5. Hier in ihrem Blog nachzulesen: „Oh teh drama – or why I stickered a naked headless female on the wall“ http://mirromaru.tumblr.com/post/39382307717/oh-teh-drama-or-why-i-stickered-a-naked-headless
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