Resas Ramblings

An-, Drauf- und Einsichten meinerseits

Back to Topic: Worüber sprechen wir auf Konferenzen?

Seit gestern ist wieder eine Diskussion im Gange, die die Gemüter vieler Menschen erhitzt, die sich mit Tech-/Nerd-/Hackerkonferenzen (im Folgenden einfach nur „Konferenzen“) auseinandersetzen. Auf der BSides San Francisco, einer Veranstaltung zum Thema Security, wurde ein Beitrag mit dem Titel „sex +/- drugs: known vulns and exploits“ kurzfristig aus dem Programm genommen, da es Stimmen gab, derartige Vortrage hätten eine abschreckende Wirkung auf Frauen.

Disclaimer: Ich war nicht vor Ort und kenne keine der beteiligten Personen persönlich, kann mir also nur aufgrund der öffentlich verfügbaren Informationen ein Bild machen. Im folgenden Artikel stelle möglicherweise Mutmaßungen an, die nicht auf die konkrete Situation der BSides zutreffen. Dennoch nutze ich diese, um zu überlegen, was die Debatte für die Community und für andere Konferenzen heißt.

Was genau ist da also passiert?1
Die Hackerin Violet Blue hatte sich für ihren Vortrag auf der BSides San Francisco relativ kurzfristig darauf festgelegt, über das Zusammenwirken von Drogen und Sex zu sprechen, wie sie es schon einmal 2012 auf der BSides Las Vegas getan hatte. Es wurde kurz vor der Konferenz nur der Titel des Vortrags, „sex +/- drugs: known vulns and exploits“, auf der BSides-Website veröffentlicht. Valerie Aurore von der Ada Initiative, einer feministischen Organisation mit dem Ziel einer höheren Beteiligung von Frauen in der Open Source-Kultur und Technikcommunity, wurde darauf aufmerksam und schrieb der BSides-Orga eine Mail, in der sie sich über den Inhalt dieses Vortrags erkundigte und ihre Perspektive dazu anbot. Einer der Organisatoren, Ian, unterhielt sich auf der Konferenz persönlich mit ihr und Valerie erklärte ihm, warum sie glaubt, dieser Talk trage zu einem Klima bei, wegen dem weniger Frauen an der Konferenz teilnehmen. Der Organisator sprach mit der Vortragenden, Violet Blue, über diese Vorbehalte, und trotz Rückversicherung über den Inhalt (Inhaltswarnung am Anfang, Fokus auf Aufklärung und Risikominierung, sexpositiver Ansatz) und angebotener ablauftechnischer Kompromissvorschläge (Ausweichen auf eine kleinere Bühne oder die Afterparty) wurde der Vortrag schließlich abgesagt. Diese Entscheidung traf Violet, weil sie glaubte, eine einzelne von sexueller Gewalt betroffene Person habe sich beschwert, und um die Konferenz und den Organisator nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Erst später erfuhr sie, dass die Beschwerde von der Ada Initiative ausgegangen war.

Im Kontext der allgemeinen und der nerdspezifischen Sexismusdebatte, beispielsweise um den 29c32, ist natürlich alles, was mit Sexismus und Feminismus zusammenhängt, höchst brisant für eine Konferenz und deren Außenwirkung und kann starke emotionale Reaktionen bei allen Beteiligten hervorrufen. Die Sensibilität der Community und der Organisator*innen für das Thema ist gewachsen, ein Ignorieren ist kaum mehr möglich und es gibt viele Diskussionen darüber, wie das Ausschließen von Frauen verhindert werden kann. Hier war auch die Ada Initiative in der Vergangenheit schon sehr aktiv und zeichnet sich mitverantwortlich dafür, dass viele „Anti-Harassment-Policies“3 eingeführt wurden.

Diese Entwicklung halte ich grundsätzlich für begrüßenswert. Auch das Anbieten einer Perspektive, wie Ausschlüsse produziert werden und was abschrecken könnte, halte ich im Rahmen von Awarenessarbeit prinzipiell eine gute Idee – sofern es ohne Zwang geschieht und eine Diskussion fördert. Die Ada Initiative weist in ihrer Stellungnahme explizit darauf hin, niemanden unter Druck gesetzt zu haben, sondern immer explizit zu warten, bis Konferenzorganisator*innen von selbst auf sie zukommen:

It is true that warning people of a potential bad effect of their actions is a common method of threatening people; that’s one reason why we wait for conference organizers to contact us first. If someone requests our opinion, as BSides SF did in this case, then it is more difficult to mistake sharing our expertise as threats.

In Violets Blogpost klingt das etwas anders:

“Well, there’s been a complaint about your talk.” He continued, “It’s from someone who is a rape survivor and they said they will be triggered by your talk if there’s any rape in it.”

[…]

“Do you describe how to use date rape drugs? They said that if you are going to tell people how to use date rape drugs then it’s the same as rape, and there’s going to be a problem.”

[…]

“No, they’re here and they’re not leaving. They told me they’ll make it into a bigger problem if you do your talk.”

Ich halte es für plausibel, dass keine der beiden Seiten lügt, sondern glaube, dass die unterschiedlichen Auffassungen zu großen Teilen der Stresssituation geschuldet sind – weniger als eine halbe Stunde vor dem Vortrag, gehetzt von der Anreise oder vom Organisieren ist man nicht unbedingt in der Verfassung, zu diskutieren. Auch wirkt es auf mich nicht so, als hätten sich die Orga und die Sprecherin vollkommen frei und bewusst dafür entschieden, abzusagen, weil sie keine Frauen ausschließen wollten. Ich spekuliere, dass sie aus Angst vor einem möglichen Shitstorm verständlicherweise den „einfachen Ausweg“ gewählt haben, und ich denke, das kann ihnen niemand zum Vorwurf machen. Wieviel harsche Kritik es von der Ada Initiative gegeben hätte, wenn der Vortrag stattgefunden hätte, dazu kann ich leider absolut keine Aussage treffen.

Leider gab es weder direkte Kommunikation zwischen Valerie Aurore und Violet Blue noch eine Diskussion im Vorfeld, die für ein konstruktiveres Auseinandersetzen mit dem Thema nötig gewesen wäre. Die Ada Initiative betont nur, dass die Zusammenfassung des Inhalts erst bekannt gegeben wurde, als schon alles vorbei war, der Titel des Vortrags also für sich allein stand und aufgrund der Wortwahl („vulnerability“ und „exploit“) auf das Thema Vergewaltigung unter Drogeneinfluss hinweist. Vermutlich wäre es eine gute Idee gewesen, die Sprecherin über die Anfrage der Ada Initiative vor der Konferenz zu informieren, aber wahrscheinlich war dafür die Zeit viel zu knapp und der Organisationsstress zu viel.

Da die Diskussion also im Vorfeld nicht geführt wurde, hoffe ich, dass sie nun zumindest im Nachgang passiert und es einen Dialog statt verhärtete Fronten gibt.

Wie also umgehen mit Sex als Thema auf Konferenzen?
Einen Vortrag über Vergewaltigung, der diese verherrlicht, trivialisiert oder ins Lächerliche zieht, hätte ich ebenfalls strikt abgelehnt. Auch kann ich den Gedanken nachvollziehen, dass eine allgegenwärtige Präsenz von pornografischem Material auf einer Technikkonferenz unangebracht ist und wahrscheinlich vielen Teilnehmer*innen ein schlechtes Gefühl gibt. In diesem Zusammenhang denke ich auch an die Kritik an den „Booth Babes“ (leichtbekleideten Frauen, die Messestände „schmücken“). Insbesondere durch einen einseitigen Fokus auf Frauen als „Sexobjekte“ und das explizite Ausrichten auf ein männliches, heterosexuelles Publikum wird in der Tat ein Klima geschaffen, in dem Frauen „bestenfalls nur“ nicht ernst genommen werden und schlimmstenfalls vermehrt Übergriffen ausgesetzt sind. Dies sind Punkte, denen ich zustimme, aber ich bilde mir ein, dass es im Vorfeld abzusehen oder mindestens herausfindbar ist, ob ein Vortrag in diese Kategorie fällt oder nicht.

Die Position der Ada Initiative4 geht allerdings noch darüber hinaus, denn sie lehnt Beiträge über Sex selbst dann ab, wenn sie explizit als Aufklärung, frauenfreundlich und „sexpositiv“ ausgeschrieben sind, wie es bei Violet Blue wohl der Fall gewesen wäre. Dafür werden drei Hauptargumente genannt:

  • Da Frauen statistisch gesehen häufiger Opfer sexueller Gewalt werden, wären sie häufiger davon betroffen, wenn durch unerwartetes Konfrontieren mit sexuellen Themen heftige emotionale Reaktionen durch Erinnerungen auf traumatische Erlebnisse ausgelöst werden, sie also „getriggert“ werden. Zu dem Thema habe ich schon Gegenteiliges gehört – so las ich auch schon, dass einige Betroffene von Dingen „getriggert“ werden, die überhaupt nichts mit Sex zu tun haben, beispielsweise vom Anblick einer Betonwand. Ohne irgend etwas in die eine oder andere Richtung zu belegen weist dies zumindest darauf hin, dass die einfache Gleichung „Es wird nicht über Sex geredet = Niemand wird getriggert“ nicht aufgeht.
  • Durch Beiträge über Sex werde eine „sexualisierte Umgebung“ geschaffen, in der eine Frau eher als Sexobjekt wahrgenommen werde als einfach als eine weitere Konferenzteilnehmerin, und dass dies zu mehr Übergriffen und Vergewaltigungen führe. Ich stimme zu, dass es (nicht nur) auf Konferenzen dazu kommt, dass Frauen objektifiziert werden und beispielsweise nach ihrem Aussehen und Sexappeal bewertet werden anstatt nach ihren inhaltlichen Beiträgen. Ich stimme aber nicht zu, dass dies ursächlich am Thema Sex liegt oder dass Sex dies immer befördert.  Sex als Thema muss ja nicht notwendigerweise objektifizierend sein, wenn es in angemessener Weise präsentiert wird. Das heißt konkret, dass Frauen nicht nur als passive Lustobjekte dargestellt werden sollten, sondern als aktive und mündige Menschen, die ihre Sexualität selbstbestimmt ausleben – sofern es überhaupt um Lustempfinden geht, was ja in Violets Fall überhaupt nicht zutraf. Das heißt auch, dass nicht von einem männlichen, heterosexuellen Zielpublikum ausgegangen werden sollte, und dass degradierende Wortwahl vermieden werden sollte. Unter diesen Voraussetzungen kann ich mir vorstellen, dass zumindest von dem Beitrag selbst keine erhöhte Gefahr ausgeht, Menschen in übergriffigem Verhalten zu bestärken.
  • Viele Konferenzteilnehmer*innen würden den Unterschied zwischen „Reden über Sex“ und „Abwertend über Frauen reden“ nicht kennen und von dem einen dazu gebracht werden, auch das andere zu tun. Auch wenn solche Menschen vermutlich wirklich existieren, halte ich es für gefährlich, auf dieser Basis die gesamte Besucherschaft einer Konferenz zu bevormunden. Dazu kommt noch, dass die positiven Auswirkungen des Redens über Sex außer Acht gelassen werden – etwa, dass andere Menschen zu einem verantwortungsvolleren Umgang damit gebracht werden, sich ihrer Bedürfnisse und Grenzen bewusst werden und ermutigt werden, diese zu artikulieren. Bei Violet Blues Vortrag sehe ich ganz klar den Bezug zur Hackerkultur, zur Community und den potentiellen Nutzen. Das Tabuisieren des Themas nützt dagegen höchstens denen, die Schwächere und Uninformierte ausnutzen, ob nun durch Sex, Drogen oder beides in Kombination.

Kurz, ich halte die Pauschalisierung „Sex hat als Thema auf Konferenzen nichts verloren“ für falsch, kontraproduktiv und sogar gefährlich. Der explizite Bezug auf den Ausschluss von Frauen unterstützt sogar noch das sexistische Vorurteil, Frauen hätten per se kein Interesse und keinen Spaß an Sex.

Bei Vorträgen sollte sich die Orga im Einzelfall ein Bild machen, was der Fokus ist und wie er zum Selbstbild der Konferenz passt. Als bloßes Mittel, um Aufmerksamkeit auf den eigenen Vortrag zu ziehen, könnte das Thema Sex beispielsweise weniger wünschenswert sein.

Ich habe Vorträge, die sich nicht direkt mit Technik, sondern mit der Kultur darum und dem Zwischenmenschlichen beschäftigen, als wichtigen Bestandteil einer Konferenz kennengelernt, etwa „Geeks and Depression“ oder „Queer Geeks“. In diesen Kontext kann ich mir auch Aufklärung über Sex gut vorstellen, und ich halte die Diskussion über das Schaffen eines angemessenen Rahmens dafür weitaus zielführender als die Diskussion über ein Verbot. Hierzu habe ich im Kontext der Debatte einen guten Artikel gefunden: „Talking About Sex Safely“

Übrigens kann ich nun besser nachvollziehen, wovor die Leute Angst haben, wenn sie von einer „Sittenpolizei“ sprechen. Insofern hat dieser unschöne Vorfall hoffentlich einen Anstoß geliefert, um Gespräche und gegenseitiges Verständnis zu fördern.

  1. So gut es geht zusammengepuzzelt aus Informationen aus der offiziellen Stellungnahme der BSides, der Stellungnahme der Ada Initiative  und dem Blogeintrag der Vortragenden Violet Blue []
  2. Siehe auch https://flauschig.org/blog/?p=29 []
  3. Link: Conference anti-harassment policy []
  4. Nachzulesen in der offiziellen Stellungnahme []

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